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weiterzurückPRESSE-ARCHIV (2007 - 2005)
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Gemeinsam etwas bewegen
Anstifter (Teil VI) - Volks- und Raiffeisenbanken

Widersprechen sich finanzieller Erfolg und gesellschaftliches Engagement?
Der RM glaubt, nein. Firmen, die zur sozialen Verantwortung stehen, stärken ihre Wettbewerbsfähigkeit. Diese Serie stellt sie vor.
Heute: Wie Genossenschaftsbanken die Bürgerstiftungen fördern.

GEMEINSAM ETWAS BEWEGEN

Schulen im Sommer haben etwas Unheimliches. Hier und da knarrt der Fußboden. Ansonsten ist es unnatürlich still. Kein Kinderlachen ist zu hören, kein Schreien. Niemand rennt ungestüm über den Flur, die Luft ist stickig und abgestanden. Außer Ulrich Rikus hat sich heute keiner ins Gebäude der Musikschule im westfälischen Soest verirrt. Und auch der Chef ist nur vorbeigekommen, um vor seinem Urlaub noch mal schnell nach dem Rechten zu sehen. Auf dem Tisch vor ihm liegen bunte Flyer. Etwa für die Reihe „Soester Konzerte", die Kinderveranstaltung „Happy Birthday, Mozart" oder Einladungen zum „Schnuppern im Musikgarten". Manche der Prospekte ziert ein buntes Logo: Es zeigt je einen grünen, blauen und orange Handabdruck. Obendrüber  prangt der Schriftzug „Bürgerstiftung Hellweg-Region". „Ihr hat unsere Musikschule viel zu verdanken', erzählt Rikus ernst.

Retter in der Not

Einzelne Veranstaltungen, wie demnächst einen Cello-Workshop, unterstützt die Einrichtung schon mal mit Beträgen zwischen 700 und 1000 Euro. Wichtiger für Rikus ist jedoch eine Zuwendung in Höhe von 50 000 Euro, die quasi über die Stiftung abgewickelt wird. „Dieses Geld hat in den letzten Jahren den Betrieb gesichert, nachdem die Stadt ihre Zuwendungen gekürzt hatte", weiß er.
Ulrich Rikus könnte auch sagen: Die Musikschule hat der Volksbank Hellweg eG viel zu verdanken. Denn ohne die gäbe es die Bürgerstiftung Hellweg-Region, deren Name sich an einen alten Handelsweg anlehnt, wohl nicht. Und ohne das Engagement der Volks- und Raiffeisenbanken im Allgemeinen gäbe es in Deutschland vermutlich deutlich weniger Bürgerstiftungen. Die Genossenschaftsbanken haben sich nämlich deren Förderung auf die Fahne geschrieben. Rund 135 Bürgerstiftungen, auch Stadt- oder Gemeinschaftsstiftung genannt, existieren derzeit bundesweit, zwei Drittel davon dank des Einsatzes der örtlichen Genossenschaftsbank. In den kommenden Jahren könnte die Zahl der zivilgesellschaftlichen Geldtöpfe auf bis zu 500 steigen. Die Organisationen sind meist klein. Im Durchschnitt halten sie weniger als 250 000 Euro Vermögen. Nur wenige verfügen über mehrere Millionen.

“Durch die Gründung von Bürgerstiftungen und die Unterstützung ihrer Arbeit starken Volksbanken und Raiffeisenbanken die Mitverantwortung der Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwohl und tragen vor Ort dazu bei, dass sich die heimatlichen Regionen durch diese Stiftungen positiv entwickeln", sagt Christopher Pleister, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Und ganz nebenbei stärken die Institute so auch ihre Marktposition. Denn Bürgerstiftungen und Genossenschaftsbanken haben viel gemeinsam. Beide agieren in einem engen regionalen Umfeld, gehören den Mitgliedern, propagieren Selbsthilfe und Verantwortung für das eigene Tun.

Das Bienenstockprinzip

Bürgerstiftungen funktionieren nach dem Prinzip Bienenstock. Viele Einzelne produzieren zusammen jede Menge Honig, beziehungsweise Kapital. Dessen Erträge - zu denen noch einmalige Spenden hinzukommen - finanzieren dann soziale oder kulturelle Projekte vor Ort. Einen eng umrissenen Stiftungszweck gibt es meist nicht. Wohin das Geld fließt, entscheiden die Stifter gemeinsam. So macht sich die Bürgerstiftung Ostfalen, die die Kreise Helmstedt, Ohrekreis und Fördekreis umfasst, dafür stark, dass in Kindergärten und Schulen wieder mehr vorgelesen wird. Die Bürgerstiftung Halle (Saale) unterstützt unter anderem den Bau eines Spielplatzes.

Wer hierzulande stiften gehen will, muss normalerweise mindestens 50 000 Euro mitbringen. Unter dieser Summe macht das Vorhaben meist keinen Sinn. Auch Bürgerstiftungen brauchen zu Beginn erst einmal viel Geld. In Soest stellte die Volksbank 30 000 Euro zur Verfügung. Weil Direktor Manfred Wortmann fleißig trommelte, ging die Stiftung 2002 mit mehr als 60 000 Euro Kapital an den Start.

Jetzt, wo die Stiftung existiert, kann sich Otto Normalverbraucher mit deutlich weniger beteiligen. Bei den Südwestfalen reichen 1000 Euro, um in den Kreis der Zustifter aufgenommen zu werden, der derzeit aus 52 Mitgliedern besteht. Anfangs waren es nur acht. „Manch einer in der Gegend beginnt sich zu fragen: Warum bin ich eigentlich noch nicht dabei?", erzählt Wortmann. Rund 116 000 Euro aus Zinsen und Erträgen hat die Bürgerstiftung Hellweg-Region bisher ausgeschüttet.

Hinzu kommen Initiativen, die keine eigene Stiftung gründen wollen, können ebenfalls mit der Bürgerstiftung Hellweg-Region ins Geschäft kommen: über so genannte Partnerstiftungen, die ab 25 000 Euro möglich sind. Sie begeben sich in Sachen Verwaltung unter das Dach der Bürgerstiftung, entscheiden aber weiter selbstständig über die Verwendung der Mittel. Beim Thema Stiftungsorganisation sitzt die Volksbank wieder mit im Boot. Einer ihrer Mitarbeiter agiert als Geschäftsführer der Bürgerstiftung. Bankdirektor Wortmann steht an der Spitze des Vorstandes. Außerdem übernimmt das Geldinstitut die Verwaltung des Vermögens. „Aber die Bürgerstiftung ist unabhängig", betont Wortmann und fügt hinzu: „Wir wissen halt, wie man ein solches Projekt erfolgreich managt". Das Geld, das die Bank hineingegeben hat, könne sie natürlich nicht wieder herausziehen. Laut Satzung besteht der Vorstand überwiegend aus unabhängigen Mitgliedern. „Allerdings wollen wir aktive Politiker heraushalten“, sagt Wortmann.

Der Staat zieht sich zurück

In der Musikschule schließt Ulrich Rikus indes die Tür hinter sich ab und macht sich auf den Heimweg. Den Schulleiter plagen neue Sorgen. Von 2007 an steht sein Haus wieder vor einem riesigen finanziellen Loch. Die private Förderung, die den Betrieb bislang am Laufen hielt, läuft dann aus. Neue Unterstützung ist erst für einen späteren Zeitpunkt in Sicht. Auch die Stadt kann nicht einspringen. „Auf Absicherung durch die öffentliche Hand zu hoffen wäre sinnlos", sagt Rikus. Eine Hoffnung bleibt ihm: „Vielleicht lässt sich die Kooperation mit der Bürgerstiftung ausbauen." Doch das muss bis nach den Ferien warten.
 

Gemeinsam etwas bewegen

Eingeschworen: Wenn jeder etwas Geld gibt,
kommt eine große Summe dabei raus.
[Foto: Thomas Imdphotothek.net]


nach oben[Silke Linneweber in: Rheinischer Merkur
vom 27. Juli 2006]